Mechanische vs. biologische Aortenklappe: Welche ist die beste Wahl?
Der Aortenklappenersatz ist ein lebensrettender Eingriff für Patienten mit Klappenerkrankungen. Die Entscheidung zwischen einer mechanischen Klappe und einer biologischen (Gewebe-)Klappe ist jedoch von großer Bedeutung – insbesondere für ältere Patienten. Im folgenden Experteninterview erläutert der weltweit renommierte Herzchirurg Dr. Jürgen Ennker, MD, wie Antikoagulationsrisiken, Patientenalter und moderne Operationstechniken die Klappenwahl in der heutigen Herzchirurgie beeinflussen.
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- Warum mechanische Klappen langfristige Risiken bergen
- Biologische Klappen im Aufwind – auch bei jüngeren Patienten
- Aspirin statt Antikoagulation: Eine sicherere Alternative
- Was passiert, wenn eine Gewebeklappe versagt?
- Patienten befähigen, die richtige Klappe zu wählen
- Vollständiges Transkript
Warum mechanische Klappen langfristige Risiken bergen
Mechanische Aortenklappen halten zwar ein Leben lang, erfordern jedoch eine lebenslange Antikoagulationstherapie. Dies birgt erhebliche Risiken für ältere Patienten, die anfälliger für Stürze, Blutungsneigungen und Medikationsfehler sind. Dr. Ennker weist darauf hin, dass bei vergessener Einnahme oder schwankenden INR-Werten die mechanische Klappe thrombosieren kann – ein Notfall, der zu Schlaganfall oder Tod führen kann.
Die jährliche Komplikationsrate durch Antikoagulation wird auf 0,7 % bis 1 % geschätzt, was über zehn Jahre ein kumuliertes Risiko von 7–10 % ergibt. Diese Zahlen haben viele Herzteams – einschließlich dem von Dr. Ennker – veranlasst, den Einsatz mechanischer Klappen in den letzten 20 Jahren deutlich zu reduzieren.
Biologische Klappen im Aufwind – auch bei jüngeren Patienten
Dr. Ennker berichtet von einem deutlichen Wandel in seiner Klinik: Wurden vor zwei Jahrzehnten noch 90 % mechanische Klappen implantiert, kommen heute überwiegend biologische Gewebeklappen zum Einsatz. Biologische Klappen wie die Medtronic Freestyle werden aus Schweine- oder Rindergewebe hergestellt und erfordern keine Antikoagulation.
Früher waren biologische Klappen Patienten über 70 vorbehalten, da ihre Haltbarkeit begrenzt ist. Moderne Operationstechniken und die gestiegene Sicherheit von Reoperationen ermöglichen heute jedoch die Implantation auch bei jüngeren Patienten ab 50 Jahren. Versagt die Klappe nach 10–15 Jahren, hatte der Patient jahrelang keine Blutverdünner benötigt – und ein erneuter Eingriff ist heute sicherer denn je.
Aspirin statt Antikoagulation: Eine sicherere Alternative
Empfänger biologischer Klappen nehmen in der Regel nur 100 mg Aspirin täglich. Diese niedrige Dosis wird ohnehin für Menschen über 50 zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen empfohlen. Sie birgt ein deutlich geringeres Blutungsrisiko als Warfarin oder andere Antikoagulantien bei mechanischen Klappen.
Was passiert, wenn eine Gewebeklappe versagt?
Biologische Klappen können nach einem Jahrzehnt oder mehr versagen, allerdings meist schleichend und nicht akut. Ein defektes Klappensegel kann zu Atemnot und Herzinsuffizienz führen, doch bleibt Zeit für eine geplante Reoperation oder TAVI (Transkatheter-Aortenklappenimplantation).
Dies gibt Patienten mehr Flexibilität: Mit 70 oder 75 Jahren können sie sich für einen erneuten Eingriff oder ein kathetergestütztes Verfahren entscheiden, anstatt sich von vornherein auf eine Antikoagulation festzulegen.
Patienten befähigen, die richtige Klappe zu wählen
Dr. Ennker betont, dass Patienten informiert und aktiv in den Klappenauswahlprozess einbezogen werden müssen. Während mechanische Klappen für manche jüngere Patienten noch infrage kommen, bieten Gewebeklappen Vorteile in puncto Sicherheit und Lebensqualität. Patienten müssen abwägen:
- Möchten sie lebenslang täglich Blutverdünner einnehmen?
- Oder sind sie mit der Möglichkeit einer Reoperation in 10–15 Jahren einverstanden?
Patientenpräferenz, Lebensstil, Alter und Risikoprofil leiten die Entscheidung – und nach Dr. Ennkers Erfahrung bevorzugen die meisten Patienten heute biologische Klappen.
Vollständiges Transkript
Dr. Anton Titov, MD: Der Aortenklappenersatz mit einer mechanischen Klappe erfordert eine Antikoagulationstherapie. Die Einnahme blutverdünnender Medikamente ist besonders bei älteren Menschen riskant, da sie ein höheres Sturzrisiko haben. Sie haben die Risiken mechanischer und biologischer Aortenklappen untersucht. Wie gehen Sie bei einem Aortenklappenersatz vor? Welche Faktoren beeinflussen Ihre Wahl zwischen biologischer und mechanischer Klappe? Wie findet man die beste Option, besonders bei älteren Patienten?
Dr. Jürgen Ennker, MD: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Vor zwanzig Jahren, als wir in unserer Einrichtung mit der Chirurgie begannen, implantierten wir noch über 90 % mechanische Klappen. Heute ist es genau umgekehrt. Warum? Das Risiko der Antikoagulation sind Blutungen, zerebrale Infarkte und Embolien. Nimmt der Patient die Medikamente nicht korrekt ein, kann die Herzklappe thrombosieren. Das ist ein Notfall, denn die Klappe verlegt sich. Der Patient riskiert eine Embolie durch thrombotisches Material. Bei Patienten, die ihre Medikamente nicht zuverlässig einnehmen können, liegt das jährliche Komplikationsrisiko bei 0,7 % bis 1 %. Über zehn Jahre summiert sich das auf 7 % bis 10 % Risiko für eine Aortenklappenthrombose.
Deshalb setzen wir heute vermehrt biologische Aortenklappen ein. Bei einer Medtronic Freestyle-Klappe – wie auch bei anderen biologischen Modellen – ist keine orale Antikoagulation nötig. Diese Patienten erhalten lediglich 100 Milligramm Aspirin täglich. Aspirin wird ohnehin für Patienten über 50 empfohlen. Es handelt sich um eine relativ niedrige Dosis.
Dr. Anton Titov, MD: Absolut, das ist eine sehr niedrige Dosis. Ich nehme selbst Aspirin, seit ich über 50 bin. Studien im New England Journal of Medicine zeigen, dass Aspirin das Risiko für zerebrale Infarkte und Myokardinfarkte senkt.
Dr. Jürgen Ennker, MD: Zurück zu den Aortenklappen: Früher erhielten biologische Klappen nur Patienten über 70, weil man annahm, die Klappe halte länger als die Lebenserwartung. Chirurgen und Patienten fürchteten Reoperationen. Heute ist eine Reoperation kein so großes Risiko mehr. Wir implantieren biologische Klappen auch bei 50-Jährigen. Versagt die Klappe nach 10 oder 15 Jahren, hatte der Patient all die Jahre keine Antikoagulation und keine damit verbundenen Probleme. Bis dahin hat sich die Medizintechnik weiterentwickelt. Bei einem 65-Jährigen ist eine Reoperation weniger problematisch als früher. Die Mortalität liegt bei 1–2 %, sicher unter 3 %. Dem Patienten bleiben damit die kumulierten Risiken der Antikoagulation erspart. Daher setzen wir biologische Klappen auch bei jüngeren Patienten ein und warten nicht bis 70.
Dr. Anton Titov, MD: Was passiert, wenn eine biologische Klappe versagt? Meist reißt ein Segel, was zu Herzinsuffizienz und Atemnot führt. Aber das ist kein akuter Notfall, der sofort operiert werden muss – anders als bei Thrombose oder Embolie. Der Patient hat also Zeit, einen geplanten Eingriff vorzubereiten.
Dr. Jürgen Ennker, MD: Genau, darum geht es. Der Patient kann selbst entscheiden.
Dr. Anton Titov, MD: Möchte er mit 70 oder 75 eine weitere Operation? Oder eine kathetergestützte Implantation? Es bleibt mehr Spielraum. Biologische Klappen gewinnen also zunehmend an Vertrauen, und die Indikation wird auf jüngere Altersgruppen ausgeweitet.
Dr. Jürgen Ennker, MD: Ja, allerdings gibt es auch Publikationen, die mechanische Klappen für jüngere Patienten befürworten. Daher müssen wir unsere Patienten umfassend informieren, damit sie eine eigene Entscheidung treffen können.
Dr. Anton Titov, MD: Möchten sie täglich Antikoagulantien einnehmen? Oder preferieren sie eine biologische Klappe ohne Antikoagulation, auch wenn später ein Eingriff nötig werden könnte?