Knieoperation bei degenerativen Meniskusrissen: Nach 2 Jahren nicht wirksamer als Placebo

Can we help?

In dieser zweijährigen Studie wurde die arthroskopische Teilmeniskektomie (ATE) – ein häufig durchgeführter Eingriff bei degenerativen Meniskusrissen – mit einer Scheinoperation bei 146 Patienten im Alter von 35–65 Jahren ohne Arthrose verglichen. Beide Gruppen zeigten nach 24 Monaten ähnliche Verbesserungen bei Schmerzen, Kniefunktion und Lebensqualität, ohne statistisch signifikante Unterschiede in den Ergebnissen. Bemerkenswerterweise profitierten selbst Patienten mit mechanischen Symptomen (wie Einklemmung oder Blockierung) oder bestimmten „instabilen“ Rissmustern nicht stärker von der tatsächlichen Operation. Diese Ergebnisse stellen die weitverbreitete Annahme infrage, dass ein operativer Eingriff nach erfolgloser konservativer Behandlung sinnvoll ist.

Knieoperation bei degenerativen Meniskusrissen: Nach 2 Jahren nicht wirksamer als Placebo

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund/Einleitung

Die arthroskopische Teilmeniskektomie (ATE) zählt weltweit zu den häufigsten orthopädischen Eingriffen, insbesondere bei Patienten mittleren und höheren Alters mit Knieschmerzen. Jährlich werden über eine Million solcher Operationen durchgeführt, wobei die Zahlen bis vor Kurzem stetig stiegen. Chirurgen empfehlen die ATE oft, wenn konservative Behandlungen wie Physiotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringen oder wenn Patienten über mechanische Symptome wie Einklemmung oder Blockierung des Knies klagen.

Mehrere hochwertige Studien haben jedoch die Wirksamkeit der ATE bei degenerativen Rissen (Verschleißschäden statt akuten Verletzungen) in Zweifel gezogen. Aktuelle Analysen randomisierter Studien konnten keinen klaren Vorteil gegenüber nicht-operativen Verfahren feststellen. Trotz dieser Evidenz empfehlen viele Leitlinien weiterhin eine Operation nach Scheitern der konservativen Therapie – unter anderem deshalb, weil in früheren Studien etwa ein Drittel der nicht-operierten Patienten letztlich doch operiert wurde und über eine Besserung berichtete.

Ziel dieser Studie war es, die Debatte mit der strengsten Methodik zu klären: einer placebokontrollierten Studie. Die Forscher untersuchten, ob die ATE einer Scheinoperation überlegen ist, und ob bestimmte Patientengruppen – etwa solche mit mechanischen Symptomen oder instabilen Rissen – tatsächlich von dem Eingriff profitieren. Die Finnish Degenerative Meniscal Lesion Study (FIDELITY) liefert damit klare Evidenz dazu, wann – oder ob – dieser häufige Eingriff Patienten tatsächlich nützt.

Studienmethoden

In dieser multizentrischen Studie wurden zwischen 2007 und 2014 an fünf finnischen Krankenhäusern 146 Erwachsene im Alter von 35–65 Jahren rekrutiert. Die Teilnehmer wiesen folgende Merkmale auf:

  • Seit mehr als 3 Monaten anhaltende Knieschmerzen, die mit einem Innenmeniskusriss vereinbar sind
  • MRT-bestätigter degenerativer Riss
  • Keine Arthrose (durch Röntgen und klinische Untersuchung bestätigt)
  • Erfolglose konservative Behandlung (Physiotherapie, Medikamente)

Wichtige Ausschlusskriterien waren traumatische Risse (durch größere Verletzungen wie Stürze) oder blockierte Knie. Nach einer diagnostischen Arthroskopie zur Bestätigung der Eignung wurden die Patienten randomisiert einer der beiden Gruppen zugeteilt:

  1. Echte ATE: Entfernung von geschädigtem Meniskusgewebe
  2. Placebo-Operation: Schnitte und Instrumentengeräusche ohne tatsächliche Meniskusentfernung

Beide Gruppen erhielten die gleiche postoperative Versorgung und Übungsprogramme. Entscheidend war, dass Patienten, Betreuer und Ergebnisbewerter bezüglich der Gruppenzuteilung verblindet waren. Teilnehmer konnten nach 6 Monaten eine echte Operation anfordern, wenn die Symptome fortbestanden.

Die Forscher verfolgten die Ergebnisse über 24 Monate anhand folgender Parameter:

  • WOMET-Score (0–100): Meniskusspezifisches Maß für die Lebensqualität
  • Lysholm-Score (0–100): Bewertung der Kniefunktion
  • Knieschmerzen nach Belastung (0–10)
  • Patientenzufriedenheit und Rückkehr zu normalen Aktivitäten
  • Klinische Untersuchung auf Meniskussymptome

Die Studie war mit einer Power von 90 % darauf ausgelegt, klinisch relevante Unterschiede zu erkennen: eine Veränderung von 15,5 Punkten im WOMET, 11,5 im Lysholm oder 2,0 in den Schmerzscores. Die statistischen Analysen umfassten Intention-to-Treat-Auswertungen und Subgruppenanalysen für Patienten mit mechanischen Symptomen oder instabilen Rissmustern.

Wichtigste Ergebnisse

Nach 24 Monaten zeigten beide Gruppen eine deutliche Verbesserung gegenüber den Ausgangswerten, jedoch gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen echter und Placebo-Operation in einem der primären Endpunkte:

Primäre Ergebnisse (mittlere Veränderung vom Ausgangswert)

  • WOMET-Score:
    • ATE-Gruppe: +27,3 Punkte (95 %-KI: 22,1 bis 32,4)
    • Placebo-Gruppe: +31,6 Punkte (95 %-KI: 26,9 bis 36,3)
    • Differenz: -4,3 Punkte (95 %-KI: -11,3 bis 2,6; p=NS)
  • Lysholm-Kniescore:
    • ATE: +23,1 Punkte (95 %-KI: 18,8 bis 27,4)
    • Placebo: +26,3 Punkte (95 %-KI: 22,6 bis 30,0)
    • Differenz: -3,2 Punkte (95 %-KI: -8,9 bis 2,4; p=NS)
  • Schmerzen nach Belastung:
    • ATE: -3,5 Punkte (95 %-KI: -4,2 bis -2,8)
    • Placebo: -3,9 Punkte (95 %-KI: -4,6 bis -3,3)
    • Differenz: +0,4 Punkte (95 %-KI: -0,5 bis 1,3; p=NS)

Sekundäre Ergebnisse

Auch in den sekundären Endpunkten gab es keine signifikanten Unterschiede:

  • Zufriedenheitsraten: 77,1 % ATE vs. 78,4 % Placebo (p=1,000)
  • Verbesserungsraten: 87,1 % ATE vs. 85,1 % Placebo (p=0,812)
  • Entblindung aufgrund anhaltender Symptome: 7,1 % ATE vs. 9,2 % Placebo (p=0,767)
  • Reoperationen: 5,7 % ATE vs. 9,2 % Placebo (p=0,537)
  • Rückkehr zu normalen Aktivitäten: 72,5 % ATE vs. 78,4 % Placebo (p=0,442)
  • Positive Meniskustests bei klinischer Untersuchung: Kein Unterschied zwischen den Gruppen

Ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis (Knieinfektion) trat in der ATE-Gruppe auf. Alle Ergebnisse blieben auch nach Adjustierung für Ausgangswerte und andere Faktoren statistisch nicht unterscheidbar.

Subgruppenanalysen

Die Forscher untersuchten gezielt, ob bestimmte Patienteneigenschaften bessere Operationsergebnisse vorhersagten:

Patienten mit mechanischen Symptomen (Einklemmung/Blockierung)

46 % der Teilnehmer berichteten präoperativ über mechanische Symptome. Nach 24 Monaten:

  • Kein Unterschied in WOMET-, Lysholm- oder Schmerzscores zwischen ATE- und Placebo-Gruppen
  • p-Wert für Interaktion: 0,87 (WOMET), 0,25 (Lysholm), 0,32 (Schmerz)

Patienten mit instabilen Rissen

49 % der ATE- und 54 % der Placebo-Patienten hatten instabile Risse (Korbhenkel-, Lappen- oder Längsmuster). Die Ergebnisse zeigten:

  • Identische Ergebnisse zwischen Operations- und Placebo-Gruppen
  • p-Wert für Interaktion: 0,49 (WOMET), 0,64 (Lysholm), 0,61 (Schmerz)

Die Daten belegen eindeutig, dass keine Subgruppe stärker von der echten Operation profitierte. Selbst Patienten, bei denen die konservative Behandlung vor Studieneinschluss versagt hatte, schnitten unter Placebo gleich gut ab.

Klinische Implikationen

Diese Ergebnisse haben weitreichende Konsequenzen für die klinische Praxis:

  • Die Verbesserung nach ATE scheint weitgehend auf Placebo-Effekte zurückzugehen, angesichts identischer Ergebnisse mit der Scheinoperation
  • Häufige klinische Rechtfertigungen für eine Operation – mechanische Symptome, spezifische Rissmuster oder erfolglose konservative Behandlung – fanden in dieser strengen Studie keine wissenschaftliche Bestätigung
  • Die hohen Zufriedenheits- (77–78 %) und Verbesserungsraten (85–87 %) in beiden Gruppen deuten darauf hin, dass natürlicher Verlauf und kontextuelle Effekte die Erholung stärker beeinflussen als die Gewebeentfernung

Für Patienten bedeutet dies, dass eine zunächst konservative Behandlung kein Risiko darstellt, ein chirurgisches „Zeitfenster“ zu verpassen. Die Daten stellen die Annahme infrage, dass eine verzögerte Operation die Ergebnisse verschlechtert. Ohne nachweisbaren Nutzen gegenüber Placebo nach 2 Jahren muss die Rolle der ATE bei degenerativen Rissen grundlegend neu bewertet werden.

Einschränkungen

Obwohl eindeutig, weist diese Studie wichtige Grenzen auf:

  • Traumatische Risse ausgeschlossen: Die Ergebnisse gelten nur für degenerative Risse ohne größere Verletzungen
  • Keine fortgeschrittene Arthrose: Die Ergebnisse sind nicht auf Patienten mit signifikanten Gelenkschäden übertragbar
  • 24-Monats-Zeitraum: Langfristige Ergebnisse (5+ Jahre) bleiben unbekannt
  • Risiken der Placebo-Operation: Obwohl minimal, waren mit den Scheineingriffen Narkose- und Operationsrisiken verbunden
  • Nicht-Teilnehmer unterschieden sich: Berechtigte Patienten, die eine Teilnahme ablehnten, zeigten größere WOMET-Verbesserungen nach der Operation, was auf einen möglichen Selektionsbias hindeutet

Kritisch ist, dass diese Studie nicht klärt, ob eine Operation der kleinen Subgruppe mit echter Knieblockierung helfen könnte (nur 2 % der gescreenten Patienten). Die Ergebnisse stellen speziell den Wert der ATE für „Einklemmungs“-Empfindungen und intermittierende Symptome infrage, unter denen die meisten Patienten leiden.

Empfehlungen

Auf Basis dieser Evidenz sollten Patienten mit degenerativen Meniskusrissen:

  1. Zuerst konservative Behandlungen ausschöpfen: Priorisieren Sie Physiotherapie und Schmerzmanagement für mindestens 3–6 Monate
  2. Operation allein für mechanische Symptome infrage stellen: „Einklemmungs“-Empfindungen sagen keine besseren Operationsergebnisse voraus
  3. Zweitmeinungen einholen, wenn eine Operation für stabile Risse ohne Trauma empfohlen wird
  4. Placebo-Effekte mit den Behandlern besprechen: Verstehen, dass wahrgenommene Operationsvorteile möglicherweise nicht von der Meniskusentfernung herrühren
  5. Klinische Studien für neue nicht-chirurgische Ansätze in Betracht ziehen, die angesichts dieser Ergebnisse entwickelt werden

Gesundheitssysteme sollten die Krankenversicherungsabdeckung für ATE bei degenerativen Rissen ohne klare mechanische Blockierung überdenken. Ressourcen könnten besser in die Entwicklung verbesserter Rehabilitationsprotokolle und in die Aufklärung von Patienten über den natürlichen Verlauf von Meniskusrissen fließen.

Quelleninformationen

Originalartikeltitel: Arthroscopic partial meniscectomy versus placebo surgery for a degenerative meniscus tear: a 2-year follow-up of the randomised controlled trial
Autoren: Raine Sihvonen, Mika Paavola, Antti Malmivaara, Ari Itälä, Antti Joukainen, Heikki Nurmi, Juha Kalske, Anna Ikonen, Timo Järvelä, Tero AH Järvinen, Kari Kanto, Janne Karhunen, Jani Knifsund, Heikki Kröger, Tommi Kääriäinen, Janne Lehtinen, Jukka Nyrhinen, Juha Paloneva, Outi Päiväniemi, Marko Raivio, Janne Sahlman, Roope Sarvilinna, Sikri Tukiainen, Ville-Valtteri Välimäki, Ville Äärimaa, Pirjo Toivonen, Teppo LN Järvinen; the FIDELITY Investigators
Journal: Annals of the Rheumatic Diseases
Veröffentlichungsdatum: 2018;77:188–195
DOI: 10.1136/annrheumdis-2017-211172

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung. Er bewahrt alle Originaldaten, während medizinische Terminologie zu Bildungszwecken übersetzt wird.