Aspirin zur Krebsprävention bei älteren Erwachsenen: Neue Forschungserkenntnisse

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Dieser Artikel beleuchtet aktuelle Forschungsergebnisse zur täglichen Einnahme von niedrigdosiertem Aspirin (100 mg) zur Prävention von Krebs und anderen chronischen Erkrankungen bei älteren Erwachsenen. Die zentralen Erkenntnisse stammen aus der groß angelegten ASPREE-Studie (ASPirin in Reducing Events in the Elderly) mit 19.114 gesunden Teilnehmern ab 70 Jahren (bzw. ab 65 Jahren bei ethnischen Minderheiten). Überraschenderweise zeigte Aspirin keinen Nutzen bei der Vorbeugung von Demenz oder körperlichen Beeinträchtigungen und war mit einem Anstieg der Gesamtsterblichkeit um 14 % verbunden – hauptsächlich bedingt durch Krebs. Diese Ergebnisse widersprechen früheren Studien, die bei jüngeren Erwachsenen eine Schutzwirkung von Aspirin gegen Darmkrebs nachwiesen. Patienten sollten die individuelle Einnahme von Aspirin mit ihrem Arzt besprechen.

Aspirin zur Krebsprävention bei älteren Erwachsenen: Neue Forschungserkenntnisse

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Warum diese Forschung wichtig ist

Im Jahr 2016 empfahlen Gesundheitsexperten niedrigdosiertes Aspirin (81 mg täglich) für Erwachsene im Alter von 50 bis 59 Jahren zur Vorbeugung von Herzerkrankungen und Darmkrebs. Diese Empfehlung basierte auf soliden Belegen aus mehreren Studien, die eine Risikoreduktion für Darmkrebs um 24 % durch Aspirin zeigten. Für Erwachsene über 70 lagen jedoch nicht genügend Daten vor. Die ASPREE-Studie wurde speziell initiiert, um diese Lücke zu schließen.

Die Forscher wollten herausfinden, ob die potenziellen Vorteile von Aspirin zur Vorbeugung von Demenz, Behinderung und Krebs bei gesunden älteren Erwachsenen die bekannten Blutungsrisiken überwiegen. Diese Frage ist entscheidend, da das Krebsrisiko mit dem Alter steigt und sichere Präventionsstrategien dringend benötigt werden. Die Studienergebnisse stellen frühere Annahmen infrage und haben erhebliche Auswirkungen auf Millionen älterer Erwachsener, die eine Aspirin-Einnahme erwägen.

Wie die Studie durchgeführt wurde

Die ASPREE-Studie folgte strengen wissenschaftlichen Standards. Die Forscher rekrutierten 19.114 gesunde Teilnehmer: 16.703 aus Australien und 2.411 aus den USA. Alle waren mindestens 70 Jahre alt (bzw. 65 Jahre bei ethnischen Minderheiten), 56 % waren Frauen und 9 % gehörten Minderheiten an. Etwa 11 % hatten zuvor regelmäßig Aspirin eingenommen.

Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeteilt:

  • Gruppe 1 nahm täglich 100 mg magensaftresistentes Aspirin ein
  • Gruppe 2 erhielt ein Placebo (wirkstofffreie Tablette)

Weder Teilnehmer noch Forscher wussten, wer welche Behandlung erhielt. Die Studie begleitete die Teilnehmer über durchschnittlich 4,7 Jahre mittels jährlicher Kontrolluntersuchungen. Hauptziel war zu prüfen, ob Aspirin das "behinderungsfreie Überleben" verbesserte – also das Vermeiden von Demenz, körperlicher Beeinträchtigung oder Tod. Wichtig: Die Studie wurde im Juni 2017 vorzeitig beendet, als erste Daten eine geringe Wahrscheinlichkeit für Nutzen zeigten.

Zentrale Ergebnisse: Was die ASPREE-Studie offenbarte

Die 2018 veröffentlichten Ergebnisse waren unerwartet:

  • Kein primärer Nutzen: Behinderungsfreies Überleben trat bei 21,5 pro 1.000 Personenjahren in der Aspirin-Gruppe gegenüber 21,2 in der Placebo-Gruppe auf. Der Unterschied war nicht statistisch signifikant (Hazard Ratio [HR] 1,01; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,92–1,11; p=0,79).
  • Erhöhte Sterblichkeit: Die Gesamtsterblichkeit war in der Aspirin-Gruppe um 14 % höher (HR 1,14; 95 %-KI 1,01–1,29). Dies entsprach etwa 5 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr pro 1.000 Personen.
  • Krebs trieb das Risiko: Krebstodesfälle stiegen um 31 % (HR 1,31; 95 %-KI 1,10–1,56), betrafen Darm-, Brust-, Lungen-, Magen- und Speiseröhrenkrebs. Bemerkenswerterweise unterschied sich die Krebsinzidenz selbst nicht signifikant (981 Krebsfälle unter Aspirin vs. 952 unter Placebo).

Das erhöhte Sterberisiko war am ausgeprägtesten bei Personen ohne vorherige Aspirin-Einnahme und unter australischen Teilnehmern. Im Gegensatz dazu zeigten US-Teilnehmer und frühere Aspirin-Anwender nicht-signifikante Risikoreduktionen (HR 0,79 bzw. HR 0,86).

Warum Aspirin bei älteren Erwachsenen anders wirken könnte

Forscher schlugen fünf Hypothesen vor, um zu erklären, warum Aspirin bei älteren Erwachsenen die Krebstodesfälle erhöhte, während es bei jüngeren Bevölkerungsgruppen Schutz zeigte:

  1. Zeithypothese: Aspirin könnte bei jüngeren Erwachsenen die Tumorentstehung verhindern, aber bei älteren Menschen das Wachstum bereits vorhandener, unerkannter Krebserkrankungen beschleunigen.
  2. Altersbedingte Biologie: Krebserkrankungen bei älteren Erwachsenen könnten über andere biologische Signalwege entstehen, die weniger auf die entzündungshemmenden Effekte von Aspirin ansprechen.
  3. Studiendesign-Effekte: Das Absetzen von Aspirin bei Krebsdiagnose könnte einen schädlichen "Rebound"-Effekt verursachen, der in der Praxis nicht beobachtet wird.
  4. Zufallsbefund: Der Mortalitätsanstieg war ein sekundärer Endpunkt und könnte ein statistischer Ausreißer sein (wenn auch unwahrscheinlich).
  5. Frühere Studien waren fehlerhaft: Dies widerspricht konsistenten Belegen aus Studien wie der Women's Health Study, die ein um 20 % geringeres Risiko für Darmkrebs zeigte.

Tabelle 1 fasst wichtige Studien zum Vergleich der Aspirin-Wirkungen zusammen:

Studie Population Hauptergebnis
ASPREE (2018) 19.114 Erwachsene ≥70 31 % höheres Krebssterberisiko (HR 1,31)
Women's Health Study 39.876 Frauen ≥45 20 % geringeres Risiko für Darmkrebs (HR 0,80)
CAPP2 (2011) 861 Lynch-Syndrom-Patienten 59 % geringeres Risiko für Darmkrebs (HR 0,41)

Was dies für Patienten bedeutet

Diese Ergebnisse haben unmittelbare praktische Implikationen:

  • Für Erwachsene über 70: Aspirin sollte nicht allein zur Krebs- oder Herzprävention begonnen werden. Bei gesunden älteren Erwachsenen überwiegen die Risiken den Nutzen.
  • Für Erwachsene 50–59: Bestehende Empfehlungen zur Aspirin-Gabe bei Personen mit einem kardiovaskulären Risiko von ≥10 % bleiben gültig.
  • Für aktuelle Aspirin-Anwender: Setzen Sie Aspirin NICHT ohne Rücksprache mit Ihrem Arzt ab. ASPREE fand erhöhte Risiken hauptsächlich bei Neueinsteigern – diejenigen, die bereits Aspirin einnahmen, zeigten nicht-signifikante Risikoreduktionen.

Die Entscheidung zur Fortsetzung der Aspirin-Einnahme sollte individualisiert werden unter Abwägung Ihres kardiovaskulären Risikos, Ihrer Krebsanamnese und Blutungsneigung.

Studieneinschränkungen

Obwohl ASPREE gut designed war, bestehen wichtige Einschränkungen:

  • Die 4,7-jährige Nachbeobachtung könnte zu kurz sein, um Langzeitnutzen zu erkennen (frühere Studien zeigten Krebsschutz erst nach 5+ Jahren).
  • Krebsmortalität war ein sekundärer Endpunkt – Ergebnisse benötigen Bestätigung.
  • Nur 66 % der Sterbedaten standen für detaillierte Analysen zur Verfügung.
  • Die Studie schloss Personen mit unerkannten Krebserkrankungen nicht aus, was die Ergebnisse beeinflusst haben könnte.

Laufende Nachbeobachtungen der ASPREE-Teilnehmer könnten klarere Antworten zu Langzeiteffekten liefern.

Empfehlungen für Patienten

Basierend auf der aktuellen Evidenz:

  1. Wenn Sie unter 60 sind mit hohem kardiovaskulärem Risiko: Besprechen Sie Aspirin mit Ihrem Arzt – der Nutzen könnte die Risiken überwiegen.
  2. Wenn Sie über 70 und gesund sind: Vermeiden Sie den Beginn einer Aspirin-Einnahme zur Prävention.
  3. Wenn Sie bereits Aspirin einnehmen: Konsultieren Sie Ihren Arzt vor Änderungen – setzen Sie es NICHT abrupt ab.
  4. Fokussieren Sie auf bewährte Strategien: Priorisieren Sie Koloskopie zur Krebsfrüherkennung, Bewegung und Rauchverzicht gegenüber Aspirin zur Krebsprävention im höheren Alter.

Zukünftige Forschung könnte spezifische Gruppen identifizieren, die noch von Aspirin profitieren, wie Personen mit bestimmten genetischen Markern.

Quellenangaben

Originalartikeltitel: Aspirin and Cancer Prevention in the Elderly: Where Do We Go From Here?
Autoren: Andrew T. Chan, John McNeil
Veröffentlichung: Gastroenterology, Volume 156, Issue 3, February 2019, Pages 534–538
Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung.