Diese Übersichtsarbeit analysiert die Wirkungen von Brustkrebsbehandlungen, die vor (neoadjuvant) oder nach (adjuvant) einer Operation eingesetzt werden. Die Forschenden fanden heraus, dass die meisten Therapien die Brustkrebssterblichkeit um 10–25 % senken, ohne andere Gesundheitsrisiken zu erhöhen. Allerdings steigerten Anthrazyklin-Chemotherapie und Strahlentherapie die Todesfälle durch Herzerkrankungen, Lungenkrebs oder Leukämie, während Taxane das Leukämierisiko erhöhten. Diese Erkenntnisse helfen Patientinnen und Ärzten, den Nutzen der Behandlung gegen mögliche langfristige Gesundheitsrisiken abzuwägen.
Nutzen und Risiken von Brustkrebsbehandlungen vor und nach der Operation
Inhaltsverzeichnis
- Hintergrund/Einleitung
- Studienmethoden
- Wichtige Ergebnisse: Systemische Therapien
- Wichtige Ergebnisse: Strahlentherapie
- Klinische Implikationen
- Einschränkungen
- Empfehlungen
- Quelleninformationen
Hintergrund/Einleitung
Brustkrebsbehandlungen, die vor (neoadjuvant) oder nach (adjuvant) einer Operation verabreicht werden, können das Risiko eines Wiederauftretens oder Todes durch Krebs verringern. Allerdings können sie auch das Risiko erhöhen, an anderen Gesundheitsproblemen wie Herzerkrankungen zu sterben. Bislang sind Informationen zu diesen Nutzen und Risiken über viele Forschungsstudien verstreut, was Patientinnen und Ärzten die Entscheidungsfindung erschwert.
Um dieses Problem zu adressieren, sammelten Forschende die hochwertigsten Belege aus klinischen Leitlinien und wissenschaftlichen Studien. Sie konzentrierten sich auf Behandlungen, die zwischen 2016 und 2021 für frühen invasiven Brustkrebs (Stadien I–IIIA) empfohlen wurden. Diese Übersichtsarbeit analysierte, wie verschiedene Therapien folgende Aspekte beeinflussen:
- Brustkrebssterblichkeit (Tod durch Brustkrebs)
- Nicht-Brustkrebs-Sterblichkeit (Tod durch andere Ursachen)
- Spezifische Risiken wie Herzerkrankungen oder sekundäre Krebserkrankungen
Das Team verwendete ein spezielles statistisches Maß, die Ratenverhältnisse (RRs), um Behandlungseffekte zu vergleichen. RRs zeigen, wie stark eine Behandlung das Risiko eines Ergebnisses verändert. Ein RR von 0,75 bedeutet beispielsweise ein 25 % geringeres Risiko, während ein RR von 1,20 ein 20 % höheres Risiko anzeigt. Diese Verhältnisse helfen Patientinnen, sowohl den Nutzen als auch mögliche Schäden von Behandlungen zu verstehen.
Studienmethoden
Die Forschenden folgten einem strengen Prozess zur Datenerhebung und -analyse:
- Leitlinienauswahl: Sie überprüften Brustkrebsleitlinien von sechs großen Organisationen in den USA, Europa und dem UK, die zwischen 2016 und 2021 veröffentlicht wurden. Nur Leitlinien mit klaren Methoden und Interessenkonfliktrichtlinien wurden einbezogen.
- Behandlungsidentifikation: Aus diesen Leitlinien listeten sie alle empfohlenen adjuvanten und neoadjuvanten Behandlungen für frühen invasiven Brustkrebs auf. Dies umfasste Chemotherapie, Anti-HER2-Therapien, endokrine Therapien, Bisphosphonate und Strahlentherapie.
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Evidenzsuche: Für jede Behandlung durchsuchten sie medizinische Datenbanken, um die stärkste Evidenz zu finden. Sie priorisierten:
- Metaanalysen, die Daten aus mehreren randomisierten Studien kombinierten
- Große randomisierte Studien, wenn keine Metaanalysen verfügbar waren
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Datenextraktion: Für jede Studie erfassten sie:
- Anzahl der Patientinnen (von unter 1.000 bis über 10.000)
- Nachbeobachtungszeit (mindestens 3 Jahre)
- Ratenverhältnisse (RRs) für Brustkrebssterblichkeit und Nicht-Brustkrebs-Sterblichkeit
- Spezifische Ursachen für erhöhtes Risiko
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Strahlentherapie-Risikoanalyse: Für Strahlenbehandlungen führten sie zusätzliche Suchen durch, um:
- Dosis-Wirkungs-Beziehungen zu finden (wie die Strahlendosis das Risiko beeinflusst)
- Typische moderne Strahlendosen für Organe wie Herz und Lunge zu bestimmen
Zwei Onkologen extrahierten unabhängig alle Daten, wobei zwei weitere Onkologen und ein Brustchirurg die Genauigkeit überprüften. Unstimmigkeiten wurden durch Diskussion gelöst.
Wichtige Ergebnisse: Systemische Therapien
Die Studie untersuchte vier Hauptkategorien von Medikamentenbehandlungen:
Chemotherapie
Chemotherapieoptionen reduzierten die Brustkrebssterblichkeit, hatten jedoch unterschiedliche Risiken:
- Anthrazyklin-basierte Chemo: Reduzierte Brustkrebstodesfälle um 11 % (RR 0,89), erhöhte aber Nicht-Brustkrebs-Todesfälle um 30 % (RR 1,30). Dieses zusätzliche Risiko stammte hauptsächlich von Herzerkrankungen und Leukämie.
- Taxan + Anthrazyklin-Kombination: Senkte Brustkrebstodesfälle um 19 % (RR 0,81), erhöhte aber das Leukämierisiko. Der genaue Anstieg konnte nicht direkt gemessen werden, da keine Studien Taxan-Monotherapie mit keiner Behandlung verglichen.
- Platin-basierte Chemo (neoadjuvant): Erhöhte die pathologische Komplettremission (kein nachweisbarer Krebs nach Behandlung), aber Langzeitsterblichkeitsdaten sind noch nicht verfügbar.
- Capecitabin (adjuvant): Reduzierte das Gesamtsterberisiko um 41 % (RR 0,59) bei Patientinnen mit Resttumor nach neoadjuvanter Chemo, obwohl brustkrebsspezifische Daten nicht berichtet wurden.
Die Gabe von Chemotherapie vor (neoadjuvant) statt nach (adjuvant) einer Operation beeinflusste die Brustkrebssterblichkeit insgesamt nicht, erhöhte jedoch das Lokalrezidiv um 37 % (RR 1,37).
Anti-HER2-Therapien (für HER2+ Krebs)
- Trastuzumab: Reduzierte Brustkrebstodesfälle um 34 % (RR 0,66) ohne Erhöhung anderer Todesursachen.
- Pertuzumab: Zeigte einen Trend zu reduzierten Brustkrebstodesfällen (RR 0,85), aber die Ergebnisse waren nicht statistisch signifikant.
- Trastuzumab Emtansin: Zeigte ähnlich eine nicht signifikante Reduktion der Brustkrebssterblichkeit (RR 0,75).
- Neratinib: Reduzierte das Rezidivrisiko, aber es lagen keine Sterblichkeitsdaten vor.
Endokrine Therapien (für ER+ Krebs)
- 5 Jahre Tamoxifen: Reduzierte Brustkrebstodesfälle um 31 % (RR 0,69).
- Verlängertes Tamoxifen (10 Jahre): Reduzierte Brustkrebstodesfälle weiter um 25 % (RR 0,75) im Vergleich zu 5 Jahren.
- Aromatasehemmer (AIs) vs. Tamoxifen: Bei postmenopausalen Frauen reduzierten AIs Brustkrebstodesfälle um 15 % (RR 0,85). Bei prämenopausalen Frauen mit Ovarialsuppression reduzierten AIs Rezidive, aber nicht signifikant für die Sterblichkeit.
- Ovarialsuppression/-ablation: In Kombination mit Tamoxifen reduzierte es Rezidive, aber nicht signifikant für die Sterblichkeit (RR 0,94).
Bisphosphonate (für postmenopausale Frauen)
Reduzierte Brustkrebstodesfälle um 18 % (RR 0,82) ohne Erhöhung anderer Todesursachen.
Wichtige Ergebnisse: Strahlentherapie
Strahlentherapie nach Operation reduzierte die Brustkrebssterblichkeit, erhöhte aber einige Langzeitrisiken:
Nutzen nach Operationstyp
- Nach brusterhaltender Operation: Ganzbrustbestrahlung reduzierte Brustkrebstodesfälle. Das Hinzufügen eines Tumorbett-Boosts oder regionaler Lymphknotenbestrahlung brachte zusätzlichen Nutzen.
- Nach Mastektomie: Thoraxwandbestrahlung reduzierte Brustkrebstodesfälle bei node-positiven Patientinnen signifikant, aber nicht bei node-negativen Patientinnen.
Spezifische Risiken und Dosisbeziehungen
Strahlentherapie erhöhte Todesfälle durch:
- Herzerkrankungen: Risiko stieg um 4,2 % pro Gray (Gy) Herzdosis. Moderne Techniken erreichen durchschnittlich 4 Gy Herzdosis.
- Lungenkrebs: Risiko stieg um 8,5 % pro Gy Lungendosis. Moderne Techniken erreichen durchschnittlich 5 Gy Lungendosis.
- Speiseröhrenkrebs: Risiko stieg um 4,5 % pro Gy Ösophagusdosis. Moderne Techniken erreichen durchschnittlich 4 Gy Ösophagusdosis.
Diese Risiken bestehen jahrzehntelang nach der Behandlung, sind heute jedoch aufgrund präziserer Strahlentechniken, die die Organexposition reduzieren, geringer.
Klinische Implikationen
Diese Forschung liefert entscheidende Informationen für Behandlungsentscheidungen:
- Die meisten Behandlungen reduzieren Brustkrebstodesfälle um 10–25 %, ohne andere Sterblichkeitsrisiken zu erhöhen, was bedeutet, dass ihr Nutzen generell die Risiken überwiegt.
- Anthrazyklin-Chemotherapie und Strahlentherapie erfordern besondere Berücksichtigung bei Patientinnen mit bestehenden Herzproblemen aufgrund ihrer kardialen Risiken.
- Der Nutzen der Strahlentherapie variiert erheblich:
- Hochgradig vorteilhaft nach Mastektomie für node-positive Patientinnen
- Weniger vorteilhaft für node-negative Mastektomiepatientinnen
- Moderne Strahlentechniken reduzieren, aber beseitigen nicht Langzeitrisiken. Patientinnen sollten nachfragen zu:
- Geschätzten Herz-, Lungen- und Ösophagusdosen
- Fortschrittlichen Techniken wie Deep Inspiration Breath Hold
Die Ratenverhältnisse (RRs) aus dieser Studie können in Entscheidungshilfen verwendet werden, um personalisierte Nutzen-Risiko-Profile basierend auf Alter, Krebsmerkmalen und allgemeiner Gesundheit der Patientin zu berechnen.
Einschränkungen
Obwohl umfassend, hat diese Übersichtsarbeit wichtige Einschränkungen:
- Zeitpunkt der Evidenz: Neuere Behandlungen wie Pembrolizumab und Abemaciclib wurden nicht vollständig bewertet, da sie nur in US-Leitlinien während des Studienzeitraums empfohlen wurden.
- Datenlücken: Für einige Behandlungen (Platin-Chemo, Capecitabin, Neratinib) waren nur Rezidivdaten, keine Sterblichkeitsdaten verfügbar.
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Herausforderungen der Strahlentherapie:
- Direkte Risikoschätzungen aus älteren Studien gelten nicht für moderne Techniken
- Organspezifische Dosisdaten waren in den meisten Studien nicht verfügbar
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Bevölkerungsspezifika: Ergebnisse gelten hauptsächlich für Standardregime. Effekte können abweichen für:
- Unkonventionelle Dosierungsschemata
- Patientinnen mit mehreren Gesundheitszuständen
- Nachbeobachtungsdauer: Einige Risiken (wie sekundäre Krebserkrankungen) treten erst nach Jahrzehnten auf und können bei neueren Behandlungen unterschätzt werden.
Empfehlungen
Basierend auf diesen Ergebnissen sollten Patientinnen und Ärzte:
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Nutzen-Risiko-Abwägung besprechen: Für jede empfohlene Behandlung fragen:
- "Wie sehr wird dies mein Risiko für Brustkrebsrezidiv oder Tod reduzieren?"
- "Was sind die spezifischen Risiken für andere Gesundheitsprobleme?"
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Organdosis-Schätzungen anfordern: Bei Strahlentherapie den Strahlentherapeuten fragen nach:
- Geschätzten Herz-, Lungen- und Ösophagusdosen
- Optionen zur weiteren Reduktion dieser Dosen
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Kardiales Monitoring erwägen: Bei Anthrazyklinen oder Linksbrust-Bestrahlung:
- Baseline-Herzfunktionstests besprechen
- Nach Langzeitüberwachungsplänen fragen
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Entscheidungshilfen nutzen: Tools anfordern, die einbeziehen:
- Ihre spezifischen Krebsmerkmale (Stadium, Hormonrezeptoren, HER2-Status)
- Ihr Alter und allgemeine Gesundheit
- Die Ratenverhältnisse aus dieser Studie
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Nach neueren Techniken fragen: Bei Strahlentherapie nachfragen zu:
- Deep Inspiration Breath Hold (reduziert Herzdosis)
- 3D-konformaler oder Protonentherapie
Quelleninformationen
Originaler Artikel-Titel: Adjuvante und neoadjuvante Brustkrebsbehandlungen: Eine systematische Übersichtsarbeit zu deren Auswirkungen auf die Mortalität
Autoren: Amanda J. Kerr, Gurdeep Mannu, David Dodwell, Paul McGale, Francesca Holt, Fran Duane, Sarah C. Darby, Carolyn W. Taylor
Zeitschrift: Cancer Treatment Reviews
Veröffentlichungsdetails: Band 105, 2022, Artikel 102375
Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung der Originalpublikation. Er bewahrt alle wesentlichen Daten, Ergebnisse und Einschränkungen, während medizinische Sprache für breitere Zugänglichkeit übersetzt wird.