Dr. Pascal Leprince, MD, ein führender Experte für Herztransplantationen und die Behandlung von fortgeschrittener Herzinsuffizienz, spricht über den außergewöhnlichen Mut, den Patienten während langer Intensivstationsaufenthalte beweisen. Er hebt hervor, dass Betroffene erhebliches körperliches und seelisches Leid vor allem für ihre Familien ertragen – weniger für sich selbst. Dr. Leprince bewundert die Widerstandskraft des menschlichen Geistes und sieht es als eine der bereicherndsten Seiten seines Berufs, diese Stärke unmittelbar miterleben zu dürfen.
Die menschliche Seele bei der Herztransplantation: Mut, Familie und Überleben
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- Mut der Patienten auf der Intensivstation
- Typischer Genesungsverlauf nach Herztransplantation
- Herausforderungen bei verlängertem Intensivaufenthalt
- Rolle der Familie für das Überleben der Patienten
- Die menschliche Seite der Medizin
- Vollständiges Transkript
Mut der Patienten auf der Intensivstation
Dr. Pascal Leprince hebt den außergewöhnlichen Mut hervor, den Herztransplantationspatienten und Menschen mit schwerster Herzinsuffizienz aufbringen. Er beobachtet, dass diese Personen während ihrer Behandlung immense körperliche Schmerzen und seelische Belastungen durchstehen. Für ihn ist diese Stärke ein Zeugnis der besten Seiten der menschlichen Natur.
Der Transplantationschirurg betont, dass es sich dabei nicht um abstrakten Mut handelt, sondern um etwas, das täglich auf der Intensivstation sichtbar wird. Dr. Leprince empfindet diesen Aspekt der Patientenversorgung zutiefst berührend und als wesentliche Quelle seiner beruflichen Erfüllung.
Typischer Genesungsverlauf nach Herztransplantation
Dr. Pascal Leprince skizziert den standardmäßigen Genesungsweg nach einer Herztransplantation. Etwa 70 % der Empfänger durchlaufen einen komplikationslosen postoperativen Verlauf. Diese Patienten verbringen in der Regel ein bis zwei Wochen auf der Intensivstation, gefolgt von weiteren ein bis zwei Wochen auf einer Normalstation.
Selbst dieser als „einfach“ geltende Genesungsprozess ist für die Patienten körperlich sehr anstrengend, so Dr. Leprince. Nach der Entlassung setzen sie ihre Rehabilitation fort, um Kraft zurückzugewinnen und sich an das neue Herz zu gewöhnen. Dieser vorhersehbare Verlauf stellt das Best-Case-Szenario in der Behandlung der schweren Herzinsuffizienz dar.
Herausforderungen bei verlängertem Intensivaufenthalt
Dr. Pascal Leprince thematisiert die erheblichen Belastungen, die mit einem verlängerten Intensivaufenthalt einhergehen. Rund 30 % der Herztransplantierten erleben komplizierte Genesungsverläufe, die mitunter monatelange Intensivbehandlungen erfordern. Solche langen Aufenthalte bedeuten enorme körperliche und emotionale Strapazen für die Patienten und ihre Angehörigen.
Dr. Leprince erläutert, dass die Ungewissheit über den Ausgang das Leiden zusätzlich verstärkt, da medizinische Teams nicht immer vorhersagen können, wer überleben wird. Er räumt ein, dass manche Patienten trotz ihres immensen Kampfes letztlich versterben – was ihren Mut umso bemerkenswerter macht.
Rolle der Familie für das Überleben der Patienten
Dr. Pascal Leprince identifiziert die familiären Bindungen als zentrale Motivation für das Überleben der Patienten. Aus unzähligen Begegnungen hat er geschlossen, dass die meisten Schwerkranken nicht für sich selbst, sondern für ihre Familien kämpfen. Diese externe Motivation verleiht ihnen die psychische Kraft, extreme medizinische Prozeduren zu ertragen.
Der Herzchirurg stellt fest, dass Patienten häufig den Wunsch äußern, ihre Angehörigen vor Trauer zu bewahren oder weiter für sie sorgen zu können. Dr. Leprince hält diese selbstlose Haltung für zutiefst bedeutsam und sieht darin eine der edelsten Eigenschaften des Menschen.
Die menschliche Seite der Medizin
Dr. Pascal Leprince reflektiert die zutiefst menschlichen Aspekte der Hochleistungsmedizin. Jenseits der technischen Komplexität von Herztransplantationen empfindet er die zwischenmenschlichen Begegnungen als besonders bereichernd. Die tägliche Konfrontation mit dem Mut und der Selbstlosigkeit der Patienten spendet dem medizinischen Personal fortwährend positive Bestätigung.
Dr. Leprince ist überzeugt, dass diese menschlichen Interaktionen die Medizin trotz aller Herausforderungen zu einem wunderbaren Beruf machen. Er deutet an, dass die Beobachtung dieser Facetten der menschlichen Natur Hoffnung auf eine Entwicklung zu mehr Mitgefühl gibt. Dr. Anton Titov als Interviewer ermöglicht diese Erkundung der emotionalen Dimensionen der Medizin.
Vollständiges Transkript
Dr. Anton Titov: Professor Leprince, wir haben viel über Herztransplantation und die Behandlung der schweren Herzinsuffizienz gesprochen. Gibt es einen klinischen Fall, den Sie schildern könnten? Eine Patientengeschichte, die einige der heute besprochenen Themen veranschaulicht?
Dr. Pascal Leprince: Vielleicht werde ich keinen Einzelfall herausgreifen, aber ich möchte über den Mut der Patienten sprechen. Wir behandeln sehr kranke Menschen. Viele von ihnen verbringen lange Zeit auf der Intensivstation.
Manchmal sind es Herztransplantationspatienten. Siebzig Prozent der Transplantationen verlaufen unkompliziert. Der Patient erhält ein neues Herz, bleibt ein bis zwei Wochen auf der Intensivstation, wird dann für weitere ein bis zwei Wochen auf die Normalstation verlegt und anschließend zur Rehabilitation entlassen. Das ist relativ straightforward.
Selbst dieser Verlauf ist für den Patienten anstrengend, aber noch vergleichsweise einfach. Dann gibt es aber Patienten, die einen Monat oder länger auf der Intensivstation bleiben. Das bedeutet, dass auch ihre Familien diesen Monat dort verbringen.
Das ist etwas, das man bedenken sollte – diese Patienten zeigen uns ein enormes Maß an Mut, um diese lange Phase auf der Intensivstation durchzustehen. Denn sie durchleben große Schmerzen. Auch wenn wir versuchen, die Schmerzen zu lindern, bleibt viel Leid.
Nicht nur der Patient leidet – auch die Familie durchlebt körperlichen und seelischen Schmerz. Bei diesen Patienten weiß niemand, wer überleben wird. Wie wird die Behandlung ausgehen?
Einige der Patienten leiden letztlich vergeblich, weil sie sterben werden. Aber das weiß vorher niemand. Das ist das Schöne – eine positive Seite des menschlichen Wesens. Ein Mensch kann so viel kämpfen, um bei guter Lebensqualität am Leben zu bleiben. Das erstaunt mich immer wieder!
Ich bin nicht sicher, ob ich selbst denselben Mut aufbrächte wie diese Patienten. Es ist so schwer, einen langen Intensivaufenthalt durchzustehen, ohne zu wissen, ob man überleben wird.
Denn die Patienten überleben nicht für sich selbst – viele von ihnen. Einige mögen für sich selbst kämpfen, aber die meisten auf der Intensivstation kämpfen für ihre Familien.
Wenn man mit Patienten spricht, ist das sehr deutlich. Sie wollen diesen Kampf nicht für sich selbst führen. Sie sorgen sich nicht um sich selbst, sondern um ihre Familien.
Sie wollen am Leben bleiben, weil sie müssen. Weil sie nicht wollen, dass die Familie traurig ist, oder weil sie ihren Angehörigen noch etwas geben möchten. Das ist mir sehr wichtig.
Das ist also kein konkreter klinischer Fall, sondern etwas, das wir bei vielen Patienten beobachten. Das ist die gute Seite der menschlichen Natur, finde ich.
Das ist das Schöne an unserem Beruf. Jeden Tag sehen wir das Gute im Menschen. Das macht mich sehr, sehr enthusiastisch. Denn ich glaube nach wie vor, dass sich die Menschheit weiterentwickeln wird.
Ich bin nicht sicher, wie wir uns in den letzten 70.000 Jahren entwickelt haben, aber vielleicht schaffen wir es zu etwas Besserem. Denn das hier ist ziemlich gut. Wenn man bedenkt, was Patienten seelisch und körperlich durchstehen, nur um bei ihren Lieben, Familien und Freunden bleiben zu können.
Sie bleiben nicht für sich selbst am Leben. Das ist etwas, das wir sehr genau betrachten sollten. Vielleicht kann das der Welt ein wenig helfen. Die Welt befindet sich heutzutage ja nicht in einer einfachen Lage.
Dr. Anton Titov: Der menschliche Teil der Medizin! Wir begannen mit einer Diskussion über hochtechnische Themen der Herztransplantation. Aber am Ende geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. Das ist etwas, das Sie mit Ihrer großen Erfahrung besonders betonen.
Dr. Pascal Leprince: Ja. Das ist etwas, das wir täglich erleben. Ich bin sicher, dass wir als Ärzte davon täglich viele positive Impulse erhalten. Eine zweite Meinung ist wichtig. Es ist sehr, sehr schön, jeden Tag ins Krankenhaus zu kommen.
Dr. Anton Titov: Professor Leprince, gibt es etwas in Ihrem Interessensgebiet oder Ihren Gedanken, über das Sie noch sprechen möchten? Vielleicht eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die aber wichtig wäre? Irgendetwas, das Sie ansprechen möchten?
Dr. Pascal Leprince: Nein, ich denke, wir könnten noch viele, viele andere Dinge besprechen. Aber wir sind bereits auf viele positive Aspekte der Medizin eingegangen. Vielleicht einfach dies: Junge Menschen sollten wissen, dass die Medizin ein wunderbarer Beruf ist, weil man sich um Patienten kümmert.
Dr. Anton Titov: Professor Leprince, vielen Dank für dieses sehr interessante und tiefgründige Gespräch hier in Paris. Es ist eine große Ehre, mit Ihnen über Herzchirurgie, Transplantation, Herzinsuffizienz und die menschliche Seite der Medizin diskutieren zu können. Danke!
Dr. Pascal Leprince: Danke! Es war ein Vergnügen. Wirklich ein Vergnügen. Danke.