Die Familie sollte auf der Intensivstation uneingeschränkten Zugang zum Patienten haben. Ärzte und Angehörige arbeiten dabei partnerschaftlich zusammen.

Die Familie sollte auf der Intensivstation uneingeschränkten Zugang zum Patienten haben. Ärzte und Angehörige arbeiten dabei partnerschaftlich zusammen.

Can we help?

Dr. Pascal Leprince, MD, ein führender Experte für Herzchirurgie und Transplantation, betont die entscheidende Rolle der Familie auf der Intensivstation (ITS). Er erklärt, wie Angehörige nicht nur psychologische Unterstützung bieten, sondern auch als wichtige Partner in der Patientenversorgung agieren können, indem sie frühzeitig medizinische Probleme erkennen. Dr. Leprince plädiert für einen kollaborativen Teamansatz, bei dem Ärzte, Pflegepersonal und die Familie des Patienten zusammenwirken, um optimale Behandlungsergebnisse zu erreichen – besonders dann, wenn der Patient selbst nicht aktiv an seiner Versorgung teilnehmen kann.

Anwesenheit der Familie auf der Intensivstation: Ein entscheidender Faktor für Patientenversorgung und -sicherheit

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Vorteile der Familienanwesenheit auf der Intensivstation

Dr. med. Pascal Leprince betont, dass die Anwesenheit von Familienmitgliedern – bis hin zur Übernachtung im Patientenzimmer – erhebliche Vorteile mit sich bringt. Diese Praxis, die auch von anderen renommierten Chirurgen wie Professor Lawrence H. Cohn befürwortet wird, ist ein Grundpfeiler moderner, patientenzentrierter Versorgung. Die Vorteile gehen weit über bloßen Komfort hinaus und führen zu konkreten klinischen und sicherheitsrelevanten Verbesserungen für den kritisch kranken Patienten.

Psychologische Unterstützung für den Patienten

Ein zentraler Grund für die Anwesenheit der Familie ist die tiefgreifende psychologische Unterstützung des Patienten. Ein Aufenthalt auf der Intensivstation in einem vulnerablen Zustand kann Angst und Isolation hervorrufen. Ein vertrautes Gesicht spendet Trost, mildert Ängste und kann das psychische und emotionale Wohlbefinden in einer hochbelastenden medizinischen Krise erheblich verbessern. Diese Unterstützung stellt eine nicht-pharmakologische Intervention dar, die medizinische Behandlungen sinnvoll ergänzt.

Früherkennung von Problemen durch die Familie

Dr. med. Pascal Leprince hebt einen entscheidenden, oft unterschätzten Vorteil hervor: Familien können beginnende Probleme früher als das klinische Personal erkennen. Da Angehörige intensiv auf den Patienten fokussiert sind, nehmen sie mitunter subtile Veränderungen im Zustand, der Atmung oder der Reaktionsfähigkeit wahr, die eine vielbeschäftigte Pflegekraft während der Visite übersehen könnte. Diese Früherkennung ermöglicht ein schnelleres Eingreifen, was Komplikationen vorbeugen und die Patientensicherheit auf der Intensivstation erhöhen kann.

Auswirkung des Pflegepersonalschlüssels

Der Wert der Familie als zusätzliches Beobachtungspaar wird durch Schwankungen in der Personalausstattung noch verstärkt. Dr. Leprince vergleicht das in manchen US-Intensivstationen übliche Modell einer Pflegekraft pro Patient mit der europäischen Realität, in der eine Pflegekraft oft für zwei oder drei kritisch kranke Patienten zuständig ist. In solchen Situationen wird das Familienmitglied zu einem unverzichtbaren Partner bei der Überwachung, da die Pflegekraft nicht ständig bei jedem Patienten anwesend sein kann.

Das Modell der partizipativen Medizin

Dieser Ansatz fügt sich nahtlos in das Modell der „P4-Medizin“ ein (prädiktiv, präventiv, personalisiert, partizipativ), bei dem ein „P“ für „partizipativ“ steht. Dr. med. Anton Titov und Dr. Leprince sind sich einig, dass die Familie zur Stimme des Patienten wird, wenn dieser sediert, bewusstlos oder zu schwach zur Kommunikation ist. Sie beteiligt sich aktiv am Behandlungsprozess und stellt sicher, dass die Bedürfnisse und Präferenzen des Patienten im Behandlungsplan berücksichtigt werden.

Zusammenarbeit des Behandlungsteams

Dr. med. Pascal Leprince plädiert dafür, die traditionelle Barriere zwischen dem klinischen Team und der Familie abzubauen. Das ideale Modell ist ein echter Teamwork-Ansatz, bei dem Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige als vereinte Partner zum einzigen Ziel der Genesung des Patienten zusammenarbeiten. Diese Kooperation löst sich von einem paternalistischen System, in dem Ärzte die Behandlung allein lenken, und schafft stattdessen ein unterstützendes Ökosystem, das den Patienten aus jeder Perspektive stärkt.

Vollständiges Transkript

Dr. med. Anton Titov: Sie weisen auf etwas sehr Wichtiges hin: die Möglichkeit, dass Angehörige im Patientenzimmer bleiben können, selbst auf der Intensivstation. Das hat auch Professor Lawrence H. Cohn in unseren früheren Gesprächen erwähnt. Sie bestätigen das.

Dr. med. Pascal Leprince: Ja, genau. Es ist sehr wichtig – bei Ihrem Angehörigen im Zimmer zu bleiben und zu schlafen. Das halte ich für äußerst bedeutsam.

Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist die psychologische Unterstützung, die Sie Ihrem Angehörigen geben, wenn Sie im selben Zimmer bleiben. Der zweite, weniger bekannte Grund ist, dass Sie als Angehöriger auf der Intensivstation Probleme früher als das Pflegepersonal erkennen können.

Weil Sie sehr aufmerksam sind. In Frankreich ist die Situation anders als in den USA. Ich erinnere mich, dass in den USA eine Pflegekraft für einen Intensivpatienten zuständig war. Da war es für die Pflegekraft einfacher, den Patienten im Blick zu behalten.

In vielen Ländern, zumindest in Europa, kümmert sich eine Pflegekraft um zwei oder drei Patienten. Sie kann nicht jede Minute bei jedem sein. Daher ist es sehr wertvoll, Angehörige im Zimmer zu haben.

Sie können melden, wenn etwas nicht stimmt, und die Pflegekraft alarmieren. Denn manchmal können Patienten das selbst nicht. Das ist ein weiterer Grund, warum die Anwesenheit der Familie so hilfreich ist.

Dr. med. Anton Titov: Das ist sehr interessant. Im Zusammenhang mit P4-Medizin (prädiktiv, präventiv, personalisiert, partizipativ) steht ein „P“ für „partizipativ“ – die Beteiligung der Familie an der Patientenversorgung.

Ich stimme zu, dass diese Mitwirkung wichtig ist.

Dr. med. Pascal Leprince: Wir haben nicht länger ein klinisches Team auf der einen und die Familie auf der anderen Seite, getrennt durch eine Mauer. Alle arbeiten gemeinsam daran, den Patienten zu heilen.

Wir wissen, wie wichtig die Beteiligung des Patienten ist. Aber wenn er nicht mitwirken kann – weil er schläft, auf der Intensivstation liegt oder zu erschöpft ist –, dann ist die Einbeziehung der Familie genauso wichtig wie die Arbeit des Behandlungsteams.

Es ist echtes Teamwork: Patienten, Ärzte, alle arbeiten zusammen, anstatt dass Ärzte die Behandlung einseitig lenken. Der Austausch geht in beide Richtungen. Ich stimme vollkommen zu, das ist sehr wichtig.