Dr. Ehud Grossman, ein führender Experte auf dem Gebiet der Hypertonie, erklärt, wie der Blutdruck korrekt gemessen wird. Er erläutert die Grenzen einzelner Praxis-Messungen und befürwortet stattdessen die 24-Stunden-Langzeitblutdruckmessung. Diese Methode ermöglicht eine genauere Vorhersage des kardiovaskulären Risikos, erkennt Weißkittelhypertonie und identifiziert Non-Dipper-Muster. Die Selbstmessung zu Hause stellt zwar eine Alternative dar, kann jedoch bei Patienten Ängste auslösen.
Optimale Blutdruckmessung: Praxis-, Heim- und 24-Stunden-Messung im Vergleich
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- Grenzen der Praxisblutdruckmessung
- Überlegenheit der ambulanten Messung
- Prävalenz der Weißkittelhypertonie
- Nächtliche Dip-Muster
- Empfehlungen klinischer Leitlinien
- Heimmessung und Angst
- Vollständiges Transkript
Grenzen der Praxisblutdruckmessung
Dr. Ehud Grossman erläutert ein häufiges Phänomen: In der Praxis gemessene Blutdruckwerte liegen oft höher als in der gewohnten Umgebung der Patienten. Zwar ist die Einzelmessung in der Klinik ein etablierter Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse, doch betont Dr. Grossman ihre erheblichen Einschränkungen. Sie vermittelt kein vollständiges Bild des Blutdruckverhaltens über Tag und Nacht.
Überlegenheit der ambulanten Messung
Das Hauptziel der Hypertoniebehandlung ist die Prävention von Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz. Laut Dr. Ehud Grossman sagt die 24-Stunden-Blutdruckmessung diese Risiken deutlich besser voraus als die Praxismessung. Diese Methode liefert ein umfassendes Profil, indem sie den durchschnittlichen Tages- und Nachtblutdruck berechnet. Zudem erfasst sie kritische Parameter wie Herzfrequenz und Blutdruckvariabilität zwischen den Messungen.
Prävalenz der Weißkittelhypertonie
Dr. Grossmans Forschung identifiziert das Phänomen der Weißkittelhypertonie. Bei etwa 20–25 % der Bevölkerung tritt dieser Effekt auf: In der Praxis zeigen diese Patienten erhöhte Werte, während ihre 24-Stunden-Messung normale Blutdruckwerte ergibt. Diese Unterscheidung ist entscheidend, um eine unnötige Behandlung nicht tatsächlich hypertensiver Patienten zu vermeiden.
Nächtliche Dip-Muster
Ein wichtiger Aspekt der 24-Stunden-Messung ist die Beurteilung des nächtlichen Blutdruckabfalls. Dr. Ehud Grossman erklärt, dass der Blutdruck im Schlaf normalerweise sinkt. Bei einer Subgruppe, den "Non-Dippern", bleibt dieser Abfall jedoch aus. Dieses Muster stellt einen signifikanten unabhängigen Risikofaktor dar: Non-Dipper haben ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz.
Empfehlungen klinischer Leitlinien
Internationale Hypertonie-Leitlinien haben diese Erkenntnisse aufgegriffen. Dr. Ehud Grossman weist darauf hin, dass die britischen NICE-Leitlinien die 24-Stunden-Blutdruckmessung für alle neu diagnostizierten Patienten empfehlen. Auch die amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften befürworten Messungen außerhalb der Praxis und erkennen die Heimblutdruckmessung als valide Alternative für Diagnose und Therapiesteuerung an.
Heimmessung und Angst
Obwohl die Heimmessung leitlinienkonform ist, warnt Dr. Ehud Grossman vor einem möglichen Nachteil: Einige Patienten reagieren ängstlich auf erhöhte Werte am Heimgerät, was den Blutdruck weiter steigen lassen kann – ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. Daher bevorzugt Dr. Grossman persönlich die 24-Stunden-Messung, die objektivere Daten liefert und patientenbedingte Fehler oder Stress minimiert.
Vollständiges Transkript
Dr. Anton Titov: Vielleicht ist dies der richtige Moment zu erwähnen, dass Blutdruckwerte in der Praxis meist etwas höher ausfallen als zu Hause. In einigen Publikationen, darunter auch Übersichtsarbeiten von Ihnen, wurde analysiert, wie verschiedene Studien den Blutdruck unterschiedlich messen. Mittlerweile gibt es Blutdruckmessgeräte für zuhause, die möglicherweise präzisere Werte liefern. Könnten Sie bitte die Praxis- mit der Heimblutdruckmessung vergleichen?
Dr. Ehud Grossman: Ja, die Kernfrage lautet: Warum behandeln wir Bluthochdruck? Wir behandeln Hypertonie, um Folgeerkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz zu verhindern. Was sagt die Prognose am besten voraus?
Wir fanden heraus, dass die Einzelmessung in der Praxis zwar eine gewisse Vorhersagekraft hat, die 24-Stunden-Messung die Risiken aber deutlich besser abschätzt. Mehrere Studien zeigen, dass etwa 20–25 % der Bevölkerung in der Praxis erhöhte Werte aufweisen, bei der 24-Stunden-Messung jedoch normale Blutdruckwerte zeigen. Das ist der "Weißkitteleffekt" durch Aufregung.
Außerdem können wir den Nachtabfall des Blutdrucks beobachten. Eine Subgruppe – die "Non-Dipper" – zeigt diesen Abfall nicht. Wir wissen, dass diese Gruppe ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz trägt.
Heute ist klar, dass die Praxismessung nicht immer korrekt ist und nicht bei allen Patienten das 24-Stunden-Profil widerspiegelt. Daher setzen wir zunehmend auf 24-Stunden-Messgeräte, um den Blutdruckstatus zu definieren und eine Hypertonie zu diagnostizieren.
Die britischen NICE-Empfehlungen schlagen vor, bei jedem neuen Patienten eine 24-Stunden-Messung durchzuführen. Die amerikanischen und europäischen Leitlinien fordern zwar Messungen außerhalb der Praxis, aber nicht zwingend die 24-Stunden-Methode; auch Heimmessungen sind möglich.
Allerdings sind viele Patienten zu Hause verunsichert, wenn sie einen hohen Wert sehen – die Angst treibt den Blutdruck weiter in die Höhe, ein Teufelskreis entsteht. Daher bevorzuge ich persönlich immer mehr die 24-Stunden-Messung, um Hypertonie, Weißkittelsyndrom sowie Dipper- oder Non-Dipper-Status zu bestimmen.
Im Vergleich zur unvollständigen Praxismessung liefert die 24-Stunden-Überwachung wesentlich mehr Informationen.
Dr. Anton Titov: Bei der 24-Stunden-Messung betrachten Sie also die Durchschnittswerte?
Dr. Ehud Grossman: Ja, den Tages- und Nachtdurchschnitt. Man erhält auch die Herzfrequenz – wichtig für die Medikamentenwahl – sowie die Blutdruckvariabilität, also die Schwankungen zwischen den Messungen. Bei chaotischen Verläufen mit starken Ausschlägen ist das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz besonders hoch.