Dieser Übersichtsartikel zeigt, dass Harnwegsinfektionen (HWI) bei Männern über 60 deutlich häufiger auftreten. Die Inzidenz steigt von 0,9–2,4 Fällen pro 1000 Männer unter 55 auf 7,7 Fälle pro 1000 Männer über 85 an. Der Beitrag erläutert, dass HWI bei älteren Männern oft mit Prostataproblemen zusammenhängen, andere Diagnoseverfahren als bei Frauen erfordern und längere Behandlungszeiten notwendig machen – insbesondere bei Prostatainfektionen, die eine 30-tägige Antibiotikatherapie erfordern. Vor der Behandlung sei eine genaue Diagnose mittels Urinkultur unerlässlich, betonen die Forschenden. Sie geben zudem spezifische Leitlinien zu Untersuchungsmethoden und antimikrobiellen Therapien, abhängig von Infektionstyp und -lokalisation.
Harnwegsinfektionen bei älteren Männern: Ein umfassender Patientenratgeber
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Warum Harnwegsinfektionen für ältere Männer wichtig sind
- Das klinische Problem: Wie häufig sind Harnwegsinfektionen bei älteren Männern?
- Diagnose und Abklärung: Die Infektionsquelle finden
- Strategien und Evidenz: Behandlungsansätze
- Behandlung: Spezifische Therapieempfehlungen
- Wichtige klinische Punkte für Patienten
- Einschränkungen und Überlegungen
- Patientenempfehlungen und Handlungsschritte
- Quelleninformation
Einleitung: Warum Harnwegsinfektionen für ältere Männer wichtig sind
Dieser Artikel behandelt ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem bei älteren Männern: Harnwegsinfektionen. Das beschriebene Fallbeispiel betrifft einen 79-jährigen, selbstständig lebenden Mann, der vermehrtes und schmerzhaftes Wasserlassen (Dysurie) sowie Fieber entwickelte. Seine Urinkultur wies extended-spectrum beta-lactamase Escherichia coli nach – denselben Erreger, der bereits Monate zuvor eine Infektion verursacht hatte, die auf Nitrofurantoin ansprach.
Dieser Fall verdeutlicht die komplexe Natur von Harnwegsinfektionen bei älteren Männern, die eine sorgfältige Abklärung und Behandlung erfordern. Im Gegensatz zu jüngeren Männern weisen ältere Männer deutlich höhere Infektionsraten auf, bedingt durch altersbedingte Veränderungen des Harntrakts und andere Gesundheitsfaktoren.
Das klinische Problem: Wie häufig sind Harnwegsinfektionen bei älteren Männern?
Harnwegsinfektionen bei Männern ohne Katheter sind vor dem 60. Lebensjahr selten, nehmen aber ab 60 Jahren deutlich zu. Die berichtete Inzidenz zeigt ein ausgeprägtes altersabhängiges Muster:
- 0,9 bis 2,4 Fälle pro 1000 Männer bei unter 55-Jährigen
- 7,7 Fälle pro 1000 Männer bei 85-Jährigen und Älteren
Die Häufigkeit schwerer Verläufe, die einen Krankenhausaufenthalt erfordern, steigt ebenfalls mit dem Alter. Harnwegsinfektionen sind die häufigste Ursache für eine Bakteriämie (Bakterien im Blut) bei älteren Männern, obwohl Todesfälle, die direkt auf eine Harnwegsinfektion zurückzuführen sind, selten sind. Wiederkehrende Infektionen treten bei älteren Männern häufiger auf als bei jüngeren, langfristige Nierenschäden sind jedoch selten, sofern keine Harnwegsobstruktion vorliegt.
Während die Inzidenz aller Harnwegsinfektionen bei älteren Männern etwa halb so hoch ist wie bei älteren Frauen, nähern sich die Raten bei Männern über 80 Jahren denen von Frauen in derselben Altersgruppe an. Asymptomatische Bakteriurie (Bakterien im Urin ohne Symptome) ist bei jüngeren Männern ungewöhnlich, betrifft aber bis zu 10% der zu Hause lebenden Männer über 80 und 15-40% der Bewohner von Pflegeheimen.
Eine antibiotische Behandlung der asymptomatischen Bakteriurie wird nicht empfohlen, da sie die Resistenzentwicklung fördert. Mit zunehmendem Alter entwickeln Männer strukturelle und funktionelle Abnormalitäten, die die Harnentleerung beeinträchtigen – am häufigsten die benigne Prostatahyperplasie (vergrößerte Prostata), die durch Obstruktion und turbulenten Harnfluss Harnwegsinfektionen begünstigen kann.
Diagnose und Abklärung: Die Infektionsquelle finden
Eine ordnungsgemäße Diagnose beginnt mit der Erkennung verschiedener Infektionsmuster. Eine Zystitis (Blasenentzündung) verursacht typischerweise irritative Symptome wie schmerzhaftes Wasserlassen, vermehrtes Wasserlassen, Harndrang, nächtliches Wasserlassen (Nykturie), suprapubische Beschwerden und gelegentlich sichtbares Blut im Urin. Eine Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) umfasst in der Regel Fieber, Rückenschmerzen oder Klopfschmerz sowie verschiedene Symptome der unteren Harnwege.
Eine akute bakterielle Prostatitis (Prostataentzündung) äußert sich typischerweise durch Fieber und Symptome der unteren Harnwege, manchmal mit obstruktiver Uropathie. Eine chronische bakterielle Prostatitis kann als wiederkehrende akute Zystitis auftreten, wenn Bakterien aus der Prostata zurück in Harnröhre und Blase gelangen.
Eine Urinkultur ist für die Behandlung unerlässlich. Um eine Übertherapie der asymptomatischen Bakteriurie zu vermeiden, sollten Urinproben nur von Männern mit verdächtigen Symptomen entnommen werden. Die Proben müssen vor Beginn einer antibiotischen Therapie gewonnen werden.
Eine Mittelstrahlurinprobe, die unter ordnungsgemäßer Hygiene gewonnen wurde (Zurückziehen der Vorhaut und Abwischen der Eichel mit feuchter Gaze), ist in der Regel ausreichend. Für die quantitative Diagnose gelten folgende Richtwerte:
- ≥100.000 koloniebildende Einheiten (KBE) eines einzelnen Erregers pro Milliliter bestätigen eine Infektion
- ≥1.000 KBE/ml eines einzelnen Erregers können je nach Kontext ebenfalls auf eine Infektion hinweisen
- Für Ureterenkatheterisierungsproben sind ≥100 KBE/ml diagnostisch
Pyurie (weiße Blutkörperchen im Urin) ist bei älteren Patienten unspezifisch, aber ihre Abwesenheit schließt eine Infektion mit 95%iger Sicherheit aus.
Bei erstmaligen Harnwegsinfektionen wird eine Evaluation des gesamten Harntrakts empfohlen, aufgrund der hohen Prävalenz urologischer Abnormalitäten bei Männern. Das Restharnvolumen sollte per Sonographie beurteilt werden, wobei 100 ml oder mehr als abnormal gelten.
Fiebernde Patienten benötigen eine sofortige Beurteilung der oberen Harnwege durch Computertomographie (CT) mit Kontrastmittel oder Nierensonographie, um eine Obstruktion auszuschließen. In einer schwedischen Studie hatten 15 von 85 Männern mit fieberhafter Harnwegsinfektion bisher unerkannte Läsionen, die einen chirurgischen Eingriff erforderten.
Die Identifizierung desselben Bakterienstamms bei wiederholten Infektionen deutet auf ein Persistieren der Erreger im Harntrakt hin. Eine chronische bakterielle Prostatitis kann mit dem Vier-Gläser-Meares-Stamey-Test oder dem einfacheren Zwei-Gläser-Test bestätigt werden, der eine >95%ige Übereinstimmung mit der komplexeren Methode zeigt.
Strategien und Evidenz: Behandlungsansätze
Die Auswahl der antibiotischen Behandlung hängt von der klinischen Präsentation, dem vermuteten Erreger, den Medikamentennebenwirkungen und der Nierenfunktion ab. Es sollten Substanzen mit hoher renaler Ausscheidung verwendet werden. Für Zystitis gehören zu den First-Line-Therapien:
- Nitrofurantoin (7 Tage)
- Trimethoprim-Sulfamethoxazol (7 Tage)
- Ciprofloxacin oder Levofloxacin (7 Tage)
Nitrofurantoin wirkt bei Zystitis, hat aber eine begrenzte Gewebepenetration und ist nicht wirksam bei Nieren- oder Prostataentzündungen. Die initiale Behandlung einer akuten Pyelonephritis verwendet typischerweise Ciprofloxacin, Levofloxacin, Ceftriaxon oder Gentamicin für 7-14 Tage.
Zeigen Kulturen eine Resistenz gegen die Initialtherapie, sollten alternative wirksame Substanzen gegeben werden – unabhängig vom klinischen Ansprechen, da initiale Besserung aufgrund hoher Antibiotikaspiegel im Urin auftreten kann, gefolgt von einem Rückfall nach Behandlungsende.
Trotz der Wahrscheinlichkeit einer Prostatabeteiligung sind die Behandlungsergebnisse bei fieberhafter Harnwegsinfektion mit 2-wöchiger und 4-wöchiger Therapie ähnlich. Eine akute bakterielle Prostatitis erfordert breitbandige intravenöse Antibiotika wie extended-spectrum Penicilline, Ceftriaxon mit oder ohne Aminoglykosid oder Fluorchinolone.
Etwa 25% der Patienten mit akuter bakterieller Prostatitis haben eine Bakteriämie, und 5-10% können Prostatabszesse entwickeln. Schwierigkeiten beim Wasserlassen sind häufig, und eine Alpha-Blocker-Therapie kann helfen, wobei einige Patienten vorübergehend katheterisiert werden müssen.
Behandlung: Spezifische Therapieempfehlungen
Eine chronische bakterielle Prostatitis entwickelt sich bei etwa 5% der Männer nach einer akuten Infektion und erfordert typischerweise 30 Tage Antibiotikatherapie, üblicherweise mit Fluorchinolonen oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol. Levofloxacin und Ciprofloxacin sind gleich wirksam.
Eine Studie, die verschiedene Levofloxacin-Regime (750 mg täglich für 2 Wochen, 750 mg täglich für 3 Wochen oder 500 mg täglich für 4 Wochen) bei Männern mit chronischer Prostatitis verglich, zeigte ähnliche Sofortwirksamkeit (63-69% Ansprechen). Nach 6 Monaten war die Ansprechrate jedoch signifikant höher mit dem 4-Wochen-Regime (45% vs. 28% mit kürzeren Regimen).
Für Patienten, die Standardtherapien nicht einnehmen können, sind die Optionen begrenzt, da viele Antibiotika keine effektiven Spiegel in der Prostata erreichen. Makrolide, Fosfomycin und Minocyclin oder andere Tetracycline können in die Prostata penetrieren und bei empfindlichen Erregern helfen.
Patienten mit obstruktiver Uropathie könnten eine transurethrale Resektion zur Verbesserung des Harnflusses in Betracht ziehen, obwohl chirurgische Ergebnisse nicht kritisch evaluiert wurden. Langzeitsuppressionstherapie oder selbstinitiierte antibiotische Therapie bei Symptombeginn können verordnet werden, obwohl randomisierte Studiendaten für diesen Ansatz fehlen.
Wichtige klinische Punkte für Patienten
- Prävalenz steigt mit dem Alter: Bakteriurie und Harnwegsinfektionen sind bei älteren Männern erheblich häufiger als bei jüngeren
- Zugrunde liegende Abnormalitäten häufig: Die meisten älteren Männer mit Harnwegsinfektion haben urologische Grunderkrankungen
- Lokalisation ist wichtig: Eine effektive Behandlung erfordert die Bestimmung, ob die Infektion in Niere, Blase oder Prostata sitzt
- Kulturgeleitete Therapie: Die Behandlung sollte auf Urinkulturergebnissen basieren
- Längere Behandlung notwendig: Chronische bakterielle Prostatitis erfordert 30 Tage antibiotische Therapie
- Suppressionstherapie als Option: Männer mit wiederkehrenden Infektionen ohne korrigierbare Ursachen benötigen möglicherweise langfristige suppressive Antibiotikatherapie
Einschränkungen und Überlegungen
Diese Übersicht benennt mehrere wichtige Einschränkungen im aktuellen Verständnis von Harnwegsinfektionen bei älteren Männern. Randomisierte Studien haben Behandlungsergebnisse zwischen Männern und Frauen nicht spezifisch verglichen, da die meisten Studiendaten nicht nach Geschlecht stratifiziert sind. Die falsch-negative Rate für initiale Tests zur Lokalisation der Infektion in der Prostata ist nicht gut etabliert.
Zusätzlich fehlen Daten aus randomisierten klinischen Studien, um Therapien für akute bakterielle Prostatitis zu vergleichen und die optimale Behandlungsdauer zu definieren. Für die langfristige Suppressionstherapie bei Patienten mit wiederkehrenden Infektionen existieren nur begrenzte randomisierte Daten zur Entscheidungsfindung.
Die klinische Evaluation ist besonders herausfordernd bei Pflegeheimbewohnern aufgrund eingeschränkten Funktionsstatus, Kommunikationsschwierigkeiten und der hohen Häufigkeit chronischer Harmsymptome durch Zustände wie Prostatavergrößerung oder neurologisch bedingte Inkontinenz.
Patientenempfehlungen und Handlungsschritte
Basierend auf dieser umfassenden Übersicht sollten Patienten:
- Umgehende Abklärung suchen bei Harmsymptomen wie vermehrtem Wasserlassen, Schmerzen, Fieber oder Rückenschmerzen
- Ordnungsgemäße Urinsammlung sicherstellen vor Beginn von Antibiotika für eine akkurate Diagnose
- Vollständige Antibiotikakuren einhalten wie verordnet, besonders bei Prostataentzündungen mit 30-tägiger Behandlungsdauer
- Urologische Evaluation bei wiederkehrenden Infektionen zur Identifikation zugrunde liegender Abnormalitäten durchführen lassen
- Antibiotikaresistenzbedenken besprechen mit Behandlern, besonders bei vorherigen Infektionen mit resistenten Erregern
- Präventivstrategien für wiederkehrende Infektionen erwägen, einschließlich möglicher langfristiger Suppressionstherapie
Patienten sollten wissen, dass asymptomatische Bakteriurie generell nicht behandelt werden sollte, da Antibiotikagabe in diesen Fällen Resistenzen fördert ohne Nutzen zu bieten.
Quelleninformation
Originalartikeltitel: Urinary Tract Infections in Older Men
Autoren: Anthony J. Schaeffer, M.D. und Lindsay E. Nicolle, M.D.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 2016;374:562-71
DOI: 10.1056/NEJMcp1503950
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus The New England Journal of Medicine und bietet umfassende Informationen zu Harnwegsinfektionen bei älteren Männern, einschließlich aller wichtigen Daten, Statistiken und klinischen Empfehlungen der Originalpublikation.